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(Geschrieben von: Neele Harmjanßen) - Montag morgen, halb zehn in Deutschland. Der Meetingmarathon startet. Die Powerpoint Folien sind auf Hochglanz poliert, informationsgeladen und hübsch gestaltet, der Vortragende blickt nervös auf die Uhr. Noch haben sich die Teilnehmenden nicht auf die freien Plätze verteilt. Einige fehlen noch. „Es wäre schön, wenn ihr euch hinsetzt und wir starten können.“ Dann folgen Begrüßung, Agenda und die üblichen Einleitungsfolien. Beim Blick in die Runde können erste Gähner beobachtet werden, einige beschäftigen sich schon längst mit ihren Smartphones. Währenddessen bummeln auch die letzten Teilnehmenden des Termins mit „Sorry“ und „Ach ihr habt schon angefangen?“ ein. Wenig später verfallen sie in einen Berieselungsmodus und lassen den Input auf sich einwirken.

Eine Stunde später in einem anderen Meeting: „Das Ziel ist, dass wir uns heute zu diesem Thema austauschen und im besten Falle eine Entscheidung treffen.“, sagt eine motivierte Kollegin. Gesagt, getan. Es artet in einer Diskussion aus, die nicht mehr ganz so viel mit dem eigentlichen Thema zu tun hat. Die Wortstarken erheben die Stimme, es gibt Unterbrechungen am laufenden Band und die Stimme der Leiseren verhallt im Nichts. Am Ende des Termins haben sich definitiv nicht alle beteilig und in der Kaffeeküche wird noch am Nachmittag über das Verhalten des einen Kollegen gesprochen, der am Ende für alle die Entscheidung getroffen hat.

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Meetings – wir kennen sie alle. Wir sitzen, die meisten beschränken sich auf’s Dasein, wenige beteiligen sich und das fällt nicht mal besonders auf. Normal halt. Kreativität ist ein Fremdwort in Meetings. Kommunikation erfolgt häufig in eine Richtung, nämlich vom Vortragenden ins Plenum. Das kommt Dir bekannt vor? Ich finde, es ist jetzt an der Zeit, etwas zu verändern.

Ich wollte es rausfinden: Kann ich daran etwas ändern? Wie kann ich Interaktion und Kommunikation in Meetings fördern, alle Teilnehmenden einbeziehen und dabei nicht mehr Zeit einsetzen. Was kann ich tun, um Kreativität anzuregen, ohne dafür große Vorbereitungen treffen zu müssen?

Antworten darauf habe ich vor Kurzem in einem Workshop kennenlernen und erleben dürfen. „Kommunikation und Liberating Structures“. Die eingenommenen Plätze konnten wir bereits nach 5 min. verlassen, denn die 33 Mikrostrukturen, welche von Keith McCandless und Henri Lipmanowicz zusammengetragen wurden, laden dazu ein, aktiv zu werden. Ebenso können sie je nach Bedarf verkettet werden, sodass eine Vielzahl von Kombinationen möglich werden.

Liberating Structures: Liberating bedeutet “befreiend”. Als Strukturen warden bei dem Konzept einfache Regeln bezeichnet, die dafür sorgen, dass alle Teilnehmenden einbezogen werden. Es entsteht ein Rahmen, in dem Menschen mit bestimmten Vorgaben miteinander interagieren.

Quelle: Video auf http://www.liberatingstructures.com/

Welche Strukturen befinden sich unter den 33?

15 % Solutions, 25/10 Crowd Sourcing, Celebrity Interview, 1-2-4-All, Open Space, What I need from you und viele mehr…(siehe auch https://www.liberatingstructures.de/liberating-structures-menue/)

Im Workshop habe ich vier Strukturen selbst ausprobieren können. Insbesondere die Struktur 25/10 Crowd Sourcing hat mich dabei fasziniert.

25/10 Crowd Sourcing kann dazu dienen, Ideen zu generieren, zu sichten, zu bewerten und transparent zu machen. Dies erfolgt in kurzer Zeit, mit viel Bewegung und unter Einbeziehung aller Teilnehmenden. Das Besondere ist, dass die Ideen ohne gegenseitige Einflussnahme bewertet werden können. Mut ist hier auf alle Fälle erwünscht! Das Vorgehen war nicht hemmend und langweilig wie manchmal eine Präsentation und nicht desorganisiert und chaotisch wie es bspw. eine offene Diskussion sein kann. Jeder war eingeladen sich einzubringen und aktiv teilzuhaben. Es war Raum für die Ideen aller, die sich aber am Meinungsbild der Gruppe messen lassen mussten. Es entstanden keine kräftezehrenden Diskussionen. Es kam mit einem im Vorfeld bekannten Zeiteinsatz zu einem Ergebnis. Wir arbeiteten mit zehn priorisierten Ideen weiter. Dabei blieb das Gefühl von Mitgestaltung und Mitwirkung die ganze Zeit lebendig.

Und das funktionierte so:

Auf die Frage „Welche grandiose Idee habe ich, um die Kommunikation in Meetings zu revolutionieren?“ habe ich meine Antwort auf die Vorderseite meiner Moderationskarte geschrieben. Dann bewegten sich alle Teilnehmenden frei durch den Raum und drückten anderen ihre Moderationskarte in die Hand. Dabei habe ich eine Vielzahl von Moderationskarten entgegen genommen und weitergegeben. Nach einer Minute war Schluss. Ich habe mir die Idee auf der Moderationskarte durchgelesen. Als nächstes hat jeder die Idee auf der Karte auf einer Skala von 1 („eher nicht“) bis 5 („sollten wir unbedingt sofort machen“) bewertet. Wer fertig war, hielt die Karte hoch, um zu signalisieren, dass man fertig ist. Sobald alle Karten nach oben gehalten worden sind, wurden sie mit der Bewertung nach unten gedreht und die nächste Tausch-Runde konnte starten. Nach einer Minute durfte ich erneut eine Idee lesen und bewerten – wichtig hierbei war, dass ich mir erst selbst eine Bewertungszahl überlege, bevor ich die Karte umdrehe und meine Bewertungszahl neben die bereits auf die Karte geschriebene Zahl notiere. Insgesamt gab es fünf Runden. Ich war so gespannt, was meine eigene „geniale“ Idee bei diesen Durchläufen erlebt hat. Am Schluss hat jeder die fünf Zahlen aus seiner Karte zusammen gezählt und es wurde ermittelt, wer die am höchsten bewertete Idee hat. Danach haben wir die zehn besten Ideen transparent gemacht und alle Moderationskarten gesammelt. Ebenso erfolgte der Hinweis, dass an dieser Stelle eine weitere Struktur genutzt werden könne, um die Top 10 zu konkretisieren und die nächsten Schritte zu identifizieren.

Weitere Infos gibt es unter: https://www.liberatingstructures.de/liberating-structures-menue/2510-crowdsourcing/

Eine halbe Stunde Action statt Gähnen, das war eine energiegeladene Stimmung, die viel Spaß gemacht hat und eine ganz andere Verbindung zwischen den Teilnehmenden erzeugte als eine klassische Brainstorming-Session es je gekonnt hätte.

Ich bin begeistert von der Effizienz und Effektivität und empfehle: Seid mutig, experimentiert mit den Strukturen und verändert eure Meetings!