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(Geschrieben von: Markus Stehlik) - Wenn ich in Agilität-Trainings die Frage stelle, warum die Teilnehmenden sich für Scrum interessieren, dann höre ich oft, dass sei eine “Ansage von oben“ gewesen. Frage ich, welche Ziele ihr Management damit verfolgt, wird deutlich – meine Teilnehmenden zumindest wissen nicht, warum in ihren Firmen ein agiles Vorgehensmodell beschlossen wurde. Klar, agil ist hipp. Es ist nicht gerade die Elite der Software-Entwickler/-innen, die noch bereit sind, mit Old-School Methoden geplant, fremdbestimmt, ohne Kontext und mit nine-to-five Job aus einem Zweierbüro heraus im Akkord zu coden.

Manchmal stellt sich heraus, dass der Auslöser für die Unternehmens-Vorgabe „macht mal Scrum“ eher in einem Gefühl als einer klar formulierten Vision oder Strategie liegt. Die Reaktionen der Betroffenen auf mein Nachhaken deutet in vielen Situationen darauf hin: entweder ist die Vision nicht klar, oder nicht klar kommuniziert,  oder vielleicht schlicht nicht verstanden worden.

Ich gebe sofort zu: ich bin ein schmunzelnder Fan der Aussage „Wir haben aber doch schon in der Vergangenheit agil gearbeitet“. Wenn ich danach frage, woran sie das festmachen, bekomme ich nicht selten die Antwort, dass in der Organisation schon immer zusammengearbeitet wurde und auch Ziele verfolgt wurden. Ach, tatsächlich? Es gab Teams? Und Zielvereinbarungen? Woran erinnert mich das nur?

Agilität ist keine neue Erfindung. Was ich in vielen Organisationen jedoch als kulturelle Herausforderung wahrnehme, ist das konsequente Leben von agilen Werten. Wenn in der Agilität mehr Verantwortung in die Hände der Mitarbeitenden liegen soll, sind Vertrauen und Loslassen dafür notwendige Voraussetzungen. Führung bekommt einen anderen Fokus. Hierarchien verlieren an Bedeutung. Wer sich über Ranks & Titles definieren möchte, greift plötzlich ins Leere. HR benötigt ein anderes Selbstverständnis: Organisationsentwicklung statt Humane Ressourcenbereitstellung. Unterstützung ist gefragt. Führungskräfte müssen aushalten, dass ein Team einen für es gangbaren Lösungsweg erarbeitet, statt dass einer vorgegeben wird. 

Eine weitere Zumutung: Die Transformation zu mehr Verantwortung­übernahme macht das ganze System im ersten Schritt nicht schneller. Geduld ist hier ausschlaggebend – und jeder, der das mal erlebt hat, weiß, was es bedeutet: es kann so schwer sein, für uns offensichtliche Lösungen oder Ideen nicht einfach vorzugeben. Gleichzeitig ist die Effektivität der Transformation aus meiner Erfahrung um ein Vielfaches höher (weil nachhaltiger) wenn in solchen Situationen die Verantwortung dort bleiben darf, wo sie agilen Werten folgend liegen soll.  Menschen - und dementsprechend auch Organisationen- lernen eben unterschiedlich schnell. 

Scrum bzw. Agilität trägt dazu bei, derartige Themen sichtbar zu machen und dadurch Veränderung zu ermöglichen – wenn wir sie denn ergreifen. Was wir daraus machen, liegt bei uns. Am Ende stellt sich immer die Frage: Haben wir uns den Herausforderungen gestellt oder sind wir den Weg des geringsten Widerstandes gegangen?

Gerade die Kinderkrankheiten auf dem neuen Lernweg erfordern ein Durchstehvermögen gegenüber Unvollkommenem. Nicht selten kommen Widerstände auch aus den eigenen Reihen. Manchmal ist es eben anstrengend. Was trendy ist und worüber viel publiziert wird, geht ja deshalb noch lange nicht leicht. Insbesondere, wenn wir in Kontakt kommen mit alt-Gelerntem, mit Strukturen, die in uns sind, für die wir nicht mal einen Namen haben. Wir sind in hierarchischen Systemen aufgewachsen – wenn’s schwierig wird, sind schnell alle Augen auf die Führungskraft gerichtet. Und dann? Spannend zu beobachten: Gibt sie Antworten oder stellt sie Fragen, um die Dinge wieder in den Fluss zu bringen?

Willkommen in der Welt der Agilität.